Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages am 30. Januar 2013

Foto: Gedenkstunde des Deutschen Bundestages zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hält die Begrüßungsrede, Inge Deutschkron die Gedenkrede. - (c) Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde

Am 27. Januar 1945 befreiten Einheiten der Roten Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dieses Lager steht wie kein anderes für das Menschheitsverbrechen des Holocaust, für das Deutschland unlöschbar die Verantwortung trägt. Das durch Adolf Hitler errichtete Regime hat Millionen Menschen entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet. Symbolhaft für diesen Terror steht das Konzentrationslager Auschwitz. Der Tag der Befreiung dieses Lagers wird in Deutschland seit 1996 als Gedenktag für die Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns und Völkermordes begangen. Bundespräsident Roman Herzog hat den 27. Januar zum Gedenktag erhoben, um „eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken“.

Die bundesweite Trauerbeflaggung an diesem Tag und vielfältige Veranstaltungen in unserem Land kommen diesem Auftrag nach. So auch die Gedenkstunde im Plenarsaal des Deutschen Bundestages an diesem Mittwoch, 30. Januar 2013. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert begrüßte neben der Gastrednerin der diesjährigen Gedenkveranstaltung, der deutsch-israelischen Schriftstellerin Inge Deutschkron, auch Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Bundesratspräsident Winfried Kretschmann. Er wies gleich zu Beginn auf das Datum der Gedenkstunde, den 30. Januar, hin und erinnerte daran, dass vor genau 80 Jahren Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde: "Damit begann das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte." Zwölf Jahre nur trennten dieses Datum von dem der Auschwitz-Befreiung – für Lammert eine "Ewigkeit des Grauens".

Inge Deutschkron wurde im August 1922 in Finsterwalde (Brandenburg) geboren und wuchs in Berlin auf. Ihre Familie und sie selbst wurden seit 1933 als Juden und aus politischen Gründen benachteiligt und verfolgt. Krieg und Völkermord überlebte sie in Verstecken in Berlin. Nach dem Krieg führte sie ihr Weg über das Studium in England 1956 nach Bonn. Ab 1958 war sie Deutschland-Korrespondentin der israelischen Zeitung Ma'ariv. Von 1972 bis 1987 arbeitete sie als Journalistin in Tel Aviv. Ihre Erlebnisse, Gefühle und Empfindungen als jüdische Verfolgte in der NS-Zeit, aber auch Eindrücke aus den Nachkriegsjahren hat die Schriftstellerin in ihrer Rede im Plenarsaal des Deutschen Bundestages an diesem Mittwoch geschildert.

„Zerrissenes Leben“, so überschrieb sie ihren Vortrag. Der zehnjährigen Tochter des Oberstudienrats Dr. Martin Deutschkron habe die Mutter damals gesagt, sie gehöre nun zu einer Minderheit: „Lass Dir nichts gefallen, wenn Dich jemand angreifen will. Wehr Dich!“ Dieser Satz der Mutter sollte ihr ganzes Leben bestimmen, sagte Inge Deutschkron. Der Vater war bereits 1933 aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" aus dem Staatsdienst entlassen worden. Martin Deutschkron war als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg gezogen, hatte an der Schlacht von Verdun teilgenommen und war Träger des Eisernen Kreuzes. Er hatte Deutschland 1939 verlassen und war nach England emigriert, Inge und ihre Mutter blieben zurück.

Inge Deutschkron schilderte, wie sich die Lage der Juden in Berlin immer mehr verschlimmerte. Am 27. Februar 1943 schließlich habe die Regierung ihr Versprechen eines „judenfreien Berlins“ eingelöst, als die letzten Juden der „einstmals stolzen Jüdischen Gemeinde“ abgeholt wurden. „Zurück blieb die kleine Zahl derer, die ein Versteck gefunden hatten und in die Illegalität gingen, wie meine Mutter und ich", sagte Inge Deutschkron. Inge und ihre Mutter überlebten und konnten 1946 den Vater in England besuchen. Für sie selbst sei die Konsequenz aus ihren Erfahrungen, dass Vergleichbares nie wieder geschehen dürfe: „Dass Menschen anderen Menschen das Recht auf Leben streitig machen könnten – ganz gleich welcher Hautfarbe, welcher Religion, welcher politischen Einstellung, nicht hier und nicht anderswo.“

Bundestagspräsident Norbert Lammert würdigte Deutschkron als eine von etwa 1.700 geretteten Berliner Juden, die es sich zur Aufgabe gemacht habe, die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland lebendig zu halten. Ihr großes Verdienst sei es, dass sie ihre Erlebnisse an junge Menschen weitergebe. „Sie tragen dazu bei, eine Generation der Zeugen von Zeugen zu bilden.“

Foto: Gedenkstunde des Deutschen Bundestages zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hält die Begrüßungsrede, Inge Deutschkron die Gedenkrede. Es wird ein El Male Rachamim ("Gott voller Erbarmen"), einem aus dem Mittelalter stammenden jüdischen Gebetes, das textlich überarbeitet und zum Totengedenken an die Opfer des Holocaust vorgetragen wird. - (c) Deutscher Bundestag / Lichtblick/Achim Melde