Ausstieg mit Augenmaß

Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan / Entschließungsantrag der Koalition

„Die Katastrophe in Japan hat geradezu apokalyptisches Ausmaß“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung zur aktuellen Lage in Japan an diesem Donnerstag im Deutschen Bundestag. „Was immer wir tun können, tun wir“, betonte sie, auch angesichts des 150-jährigen Jubiläums der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Japan.

Die Bundeskanzlerin sicherte dem japanischen Volk und der japanischen Regierung nach der dreifachen Katastrophe durch Erdbeben, Tsunami und Reaktorunfall die Hilfe Deutschlands zu. Die Folgen dieser Katastrophe seien noch überhaupt nicht absehbar. Der Albtraum habe noch kein Ende gefunden, sagte die Kanzlerin. Merkel bat die Deutschen, mit unmittelbarer Hilfe ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Damit unterstützte Merkel den Aufruf namhafter deutscher Hilfsorganisationen und des Bundespräsidenten. Bundespräsident Wulff hatte am Mittwoch dafür geworben: „Es ist eine Hilfe unter Freunden.“ Die Ereignisse in Japan seien ein Einschnitt für Europa und für Deutschland. „Wir können und dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen“, sagte Merkel.

Die Risiken der Kernkraft müssten neu bewertet werden. Die Katastrophe in Japan zeige, dass das scheinbar Unmögliche doch möglich werden könne. „Das verändert die Lage“, sagte die Kanzlerin. Als Ausdruck „äußerster Vorsorge“ habe die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden der Bundesländer aufsichtsrechtliche Maßnahmen ergriffen und die sieben ältesten Kraftwerke in Deutschland vorübergehend abgeschaltet. „Es gilt der Grundsatz: im Zweifel für die Sicherheit.“ Alle Kernkraftwerke werden überprüft, nach einem dreimonatigen Atom-Moratorium werde entschieden, stellte Merkel klar. Für die dreimonatige Betriebseinstellung sieht das Atomgesetz eine einschlägige Rechtsgrundlage vor. Sie wandte sich damit gegen Vorwürfe, juristisch auf unsicherer Grundlage zu handeln. „Ein derartiger Verdacht ist im Atomrecht dann gegeben, wenn sich wegen begründeter Unsicherheiten im Rahmen der Risikovorsorge Schadensmöglichkeiten nicht völlig ausschließen lassen“, erläuterte Merkel.

Sie will in der Europäischen Union und auf der Ebene der G20-Staaten über einheitliche Sicherheitsstandards für Kernkraftwerke sprechen. "Ich unterstütze die Initiative für einen EU-weiten Stresstest für Kernkraftwerke", sagte die Kanzlerin. "Wir brauchen in der gesamten EU hohe Sicherheitsstandards." Die Regierung wolle so schnell wie möglich das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen, sagte Merkel. Sie wandte sich dagegen, die Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten, aber dann Strom aus Kernkraftwerken anderer europäischer Länder zu beziehen. „Das ist mit mir nicht zu machen“, stellte sie klar. „Wir brauchen einen Ausstieg mit Augenmaß“, forderte die Kanzlerin. Wer erneuerbare Energien wolle, dürfe jetzt den zügigen Ausbau neuer Stromnetze nicht verweigern, betonte Merkel im Hinblick auf das zögerliche Verhalten von SPD und Grünen beim Thema Netzausbau.

Der Vorsitzende der Unionsfraktion Volker Kauder erläuterte, dass bereits vor der japanischen Katastrophe die Regierungskoalition mit dem neuen Energiekonzept den Einstieg in die erneuerbaren Energien geschafft und die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke erhöht habe. Er erinnerte daran, dass unter der rot-grünen Regierungsverantwortung auf diesem Gebiet Stillstand geherrscht habe. Rot-Grün habe sich den Ausstieg mit Verzicht auf Sicherheit erkauft, kritisierte Kauder. In der jetzigen Denkpause werde alles noch einmal sorgfältig angeschaut. Dies bedeute aber auch, dass man jetzt am Beginn noch nicht klar sagen könne, was am Ende herauskommen soll. Das wäre nicht die gewünschte Überprüfung, sondern die Fortsetzung der Ideologie, die gerade nicht herauskommen solle, unterstrich Kauder. Das jetzt beschlossene Moratorium sei die Konkretisierung der Aussage „Sicherheit zuerst!“

 

Entschließungsantrag der Koalition

Unmittelbar nach der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan und der sich anschließenden Aussprache stimmte der Deutsche Bundestag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen einem Entschließungsantrag von CDU/CSU und FDP zu, in dem der Bundestag unter anderem Folgendes feststellt:

„Die Menschen in Japan sind Opfer einer bislang nicht da gewesenen Naturkatastrophe geworden. Bis zur Stunde sind die Folgen des Erdbebens und des Tsunamis für Leib und Leben der japanischen Bevölkerung und die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur kaum zu ermessen. Wir trauern um die Opfer, und unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen, die jetzt nicht nur den Verlust ihrer Angehörigen beklagen, sondern zugleich mit der gewaltigen Herausforderung konfrontiert sind, die notwendigen Aufräumungs- und Wiederaufbauarbeiten vornehmen zu müssen. Als Partner und Freund Japans ist nun Deutschland in der solidarischen Pflicht, umfassende Unterstützung bei der Bewältigung der akuten Krisenfolgen und beim längerfristigen Wiederaufbau zu leisten.“ Der Deutsche Bundestag begrüßt in seiner Entschließung, dass „die Bundesregierung unmittelbar Soforthilfe bereitgestellt und weitere Maßnahmen in Aussicht gestellt hat.“

Ausdrücklich wird den vielen zivilen Kräften aus Deutschland gedankt, die bereits im oder auf dem Weg zum Katastrophengebiet sind. Die Bundesregierung wird aufgefordert, zusammen mit den zuständigen internationalen Stellen zügig eine detaillierte Analyse der Vorgänge in den japanischen Kernkraftwerken vorzunehmen und eine umfassende Überprüfung der Sicherheitsbestimmungen für die deutschen Kernkraftwerke durchzuführen.

Dazu soll eine unabhängige Expertenkommission beauftragt werden, eine neue Risikoanalyse aller deutschen Kernkraftwerke und kerntechnischen Anlagen unter Einbeziehung der vorliegenden Erkenntnisse über die Ereignisse in Japan – insbesondere auch mit Blick auf die Sicherheit der Kühlsysteme und der externen Infrastruktur – sowie anderer außergewöhnlicher Schadensszenarien vorzunehmen. Außerdem soll die Bundesregierung „unverzüglich internationale Gespräche zur Sicherheit der Kernkraftwerke auf hochrangiger Ebene bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und auf der Ebene der EU“ aufnehmen.