1 Woche in Berlin

Interview vom Redaktionsmitglied der Schwetzinger Zeitung Andreas Lin mit Olav Gutting

"Das macht Spaß - hier kann ich den Leuten etwas mitgeben" MdB Gutting freut sich stets über "Besuch von daheim" / Für Berlin-Sightseeing bleibt dem Abgeordneten kaum Zeit
Im September 2002 gewann der CDU-Kandidat Olav Gutting das Direktmandat im neuen Bundestagswahlkreis Schwetzingen-Bruchsal, er hat jetzt quasi Halbzeit. Beim Besuch in Berlin ergab sich auch Gelegenheit zu diesem Gespräch.

Seit nunmehr knapp zwei Jahren sind Sie nun Bundestagsmitglied. Was hat Ihnen in dieser Zeit am meisten Spaß gemacht?

GUTTING: Wenn Leute von daheim, aus dem Wahlkreis, kommen, dann ist das immer ein Highlight für mich.

Der Besuch von solchen Gruppen ist also keine lästige Pflichtaufgabe für Sie?

GUTTING: Nein, überhaupt nicht. Politik vermitteln gehört zu den wichtigen Aufgaben der Abgeordneten. Und hier in Berlin hat man die einmalige Chance, dass die Leute einem konzentriert zuhören. Das macht Spaß - hier kann ich den Leuten etwas mitgeben. Für das Demokratieverständnis sind solche Besuche einfach Gold wert. Die Funktionsweise des Staates vor Ort anzuschauen müsste eine Staatsbürgerpflicht sein.

Wie oft kommt denn Besuch von daheim, wie Sie es eingangs gesagt haben. Und wer kommt denn überhaupt?

GUTTING: Ich habe so im Schmitt zwei Besuchergruppen pro Woche. Das sind Schulklassen, Gruppen aus den Ortsverbänden oder Privatreisegruppen, die zum Beispiel bei einer Ostseereise einen Stopp in Berlin einlegen.

Da gibt es aber sicher auch unterschiedlichste Gruppen. Ist Ihnen ein Besuch besonders im Gedächtnis geblieben?

GUTTING: Ja, einmal hatte ich eine sehr interessante Diskussion mit einer Behindertengruppe von der Lebenshilfe. Die haben wirklich sehr tiefgründige Fragen gestellt, da war ich echt geplättelt.

Kennen Sie Berlin eigentlich schon in- und auswendig?

GUTTING: Nein, ich habe praktisch gar keine Zeit dafür. Wenn ich etwas von Berlin sehen will, muss ich mit meiner Frau dort Urlaub machen.

A propos Frau. Sie haben erst nach dem Einzug in den Bundestag geheiratet, kannten sich aber schon lange vorher. Wie kommt sie mit dieser Situation klar?

GUTTING: Geheiratet habe ich Diana vor eineinhalb Jahren, wir kennen uns aber schon seit sechs Jahren. Sie wusste also schon, auf was sie sich einlässt. Aber so hat sie es sich wohl nicht vorgestellt.

Sie meinen damit das stressige Abgeordnetenleben . . .

GUTTING: Ja, das Privatleben ist doch sehr eingeschränkt, der Kalender bestimmt den Ablauf. Mittlerweile bin ich halt doch bekannt, im Wahlkreis hat man fast nie Ruhe. Wir können nur selten mal gemütlich essen gehen. Meistens kommt doch jemand und fragt: "Sind sie nicht der Gutting, ich hätt da mal eine Frage . . . Mir macht das eigentlich nichts aus, aber für die Frau und die Familie wird es manchmal doch lästig.

Wie schaffen Sie es dann, dass die Familie nicht ganz zu kurz kommt?

GUTTING: Ich muss ganz einfach im Kalender feste Tage für die Familie einplanen und die dann auch strikt freihalten. Der Tag gehört der Familie - fertig. Anders geht es nicht. Denn mir ist die Familie auch sehr wichtig. ali

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Sitzung bis Mitternacht

Am nächsten Tag wird es dann wieder trockener: Wie immer am Mittwoch zuerst etwa drei Stunden Rechtsausschuss, nach einer kleinen Pause am Nachmittag fast fünf Stunden Europaausschuss - immer wieder unterbrochen durch kurze Stippvisiten im Büro oder auch mal die Begrüßung einer Besuchergruppe aus dem Wahlkreis. Beendet wird der Sitzungstag durch eine Sitzung mit Außenminister Fischer, der etwas gestresst und genervt wirkt.

Donnerstags und freitags geht es dann ins Plenum im Reichstagsgebäude. Kernsitzungszeit ist von 9 bis 17 Uhr, heute verrät die Tagesordnung aber einen Zeitplan bis weit nach Mitternacht, Sitzungen bis 1 Uhr seien keine Seltenheit. "Ich bin um 23.30 Uhr als Rednerin an der Reihe", lächelt die Freiburger CDU-Abgeordnete Conny Mayer etwas gequält. Das erklärt auch, warum so oft leere Reihen im Bundestag zu sehen sind. "Man kann gar nicht die ganze Zeit im Plenum sein, sonst würde sich die Arbeit im Büro ja stapeln", meint Olav Gutting. Deshalb wechseln sich die Abgeordneten ab, gehen vor allem zu den Punkten, die ihren eigenen Ausschuss betreffen und natürlich zu wichtigen Themen, zu Grundsatzentscheidungen. Aber auch am Schreibtisch kann Olav Gutting via Hausfernsehen immer verfolgen, was sich im Saal unter der großen Reichstagskuppel tut. "Bei Abstimmungen gibt es zehn Minuten vorher ein Signal." Signal ist gut, es ist ein ohrenbetäubendes Klingeln. "Teilweise hat man das noch nachts im Ohr", schmunzelt Olav Gutting.

So neigt sich die Sitzungswoche schon dem Ende zu. Am Freitag ist spätestens um 17 Uhr Ende. Direkt steuert Gutting den Flughafen an. Der Flieger bringt ihn allerdings nicht in ein geruhsames Wochenende, sondern zu Terminen im Wahlkreis. Jubiläen, Vorträge, Verabschiedungen, Einweihungen. "Das geht fast das ganze Wochenende durch." Heute steht beispielsweise noch ein Grillfest eines CDU-Ortsvereins an. Eigentlich kein unangenehmer Termin, aber nach dieser Woche wäre Olav Gutting sicher lieber auf der heimischen Couch - so wie der Berichterstatter.

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10 000 Schritte am Tag

Der Wecker hat aber kein Verständnis für die möglicherweise kurze Nacht des Abgeordneten. Denn am Dienstagmorgen heißt es ganz früh aufstehen für Olav Gutting - schon um 7.45 Uhr muss er beim fraktionsübergreifenden Englisch-Kurs sitzen. "Im Europaausschuss geht sehr viel in englischer Sprache, und mit dem Schulenglisch kommt man da nicht durch. Und ich will nicht ständig einen Übersetzer haben."

Praktisch ohne Pause geht's an diesem Vormittag weiter: Ein kurzer Blick ins Büro, mit der Banane in der Hand schnellen Schritts zur nächsten Sitzung quer durchs Paul-Löbe-Haus und das unterirdisch erreichbare Reichstagsgebäude. Am Tag macht ein Abgeordneter allein hier zwischen den Sälen etwa 10 000 Schritte, wurde mal gezählt - das sind sieben bis acht Kilometer. "Man merkt's am Sohlenverschleiß", bemerkt Olav Gutting, bevor er in einem der Besprechungsräume verschwindet. Dienstagsvormittags tagen die parteiinternen Arbeitsgruppen, Gutting sitzt im Europa- und Rechtsausschuss. Später ist dann Fraktionssitzung im großen CDU-Saal unter einem der Türme des Reichstags. Angela Merkel begrüßt offensichtlich gut gelaunt den jungen Kollegen, ehe hinter verschlossenen Türen getagt wird. Gutting verrät: "Da gibt es auch oft kritische Stimmen und harte Worte."

Eine Pause gab es vorher eigentlich nicht. Zurück ins Büro, Telefonate, Besprechungen. Etwas Erholung bringt da schon das Treffen mit der so genannten Jungen Gruppe der CDU, das sind die 26 Abgeordneten unter 35 Jahren. "So viele Junge waren es noch nie, wir sind im Schnitt die jüngste Fraktion. Allein in Baden-Württemberg waren wir 14 Neue," erklärt Olav Gutting. Auch hier gibt es allerdings kein Kaffeepausengeplauder, sondern es werden Themengebiete besprochen, wie zum Beispiel die demografische Entwicklung. Wenn es die Zeit erlaubt, treffen sich Gutting und Co. übrigens auch mit jungen Kollegen anderer Parteien - dann in zwanglosem Rahmen in irgendeiner gemütlichen Kneipe.

Doch freie Abende sind selten, die Bundestagsmitglieder sind immer ausgebucht. Manchmal gibt es bis zu einem Dutzend Einladungen zu Vorträgen, Expertenrunden oder Empfänge pro Abend - zum Beispiel von einem der fast 2000 in Berlin ansässigen Verbände: Sport- oder Behindertenverbände, Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammern, Kirchen, dazu kommen die Unternehmen. "Und alle wollen mit der Politik ins Gespräch kommen", erklärt Olav Gutting auf dem Weg zu einer Veranstaltung der BASF mit Altkanzler Kohl. Zwei bis drei Veranstaltungen besucht Gutting pro Abend und achtet dabei auf Events mit baden-württembergischen Firmen oder auf Veranstaltungen, die sein Fachgebiet betreffen. Richtig angenehme oder gar lockere Termine sind selten, heute steht aber einer auf dem Programm. Beim Sommerfest der Bild-Zeitung ist gute Unterhaltung garantiert - auch für den begleitenden Lokalredakteur aus der Heimat.

Von Büro zu Büro

Montagmorgen, Mannheim - die Frisur sitzt, könnte man in Anlehnung an einen bekannten Werbespot die Woche mit Olav Gutting beginnen. Die Frisur sitzt wirklich, ansonsten ist der junge Abgeordnete nach einem anstrengenden Wochenende mit vielen Wahlkreis-Terminen noch nicht so richtig wach. Mit dem Flieger geht es in die Bundeshauptstadt. Manchmal schon um 6.30 Uhr, ab und zu auch erst um 10 Uhr. Dann muss er aber vorher noch zur Besprechung ins Wahlkreisbüro nach Rheinhausen, wo Heike Friedbach die Fäden zusammenhält.

Als Olav Gutting in Berlin in seinem Büro eintrifft, sind seine Mitarbeiter, Jochen Hilliges und Hendrik Engelmann, schon bei der Arbeit. Besonders profitiert Olav Gutting von der Routine seines Büroleiters Hilliges, der schon auf viele Jahre Bundestagserfahrung zurückblicken kann: "Der Mann ist Gold wert", betont der Abgeordnete, bevor er sich in seinem Büro an die Arbeit macht. "Manchmal ist man auf der Suche nach dem Holz vom Schreibtisch", zeigt Gutting auf den auch diesmal stattlichen Post-Stapel, der allerdings von seinen Mitarbeitern vorsortiert ist. "Die vielen Briefe, Faxe und Mails kann man gar nicht selbst lesen." Als Mitglied des Europaausschusses bekommt Gutting viel Post aus Brüssel. "Da muss man Wichtiges von Unwichtigem trennen." Ein besonderes Augenmerk muss er auf Infos über Kroatien haben. Denn er ist im Ausschuss Berichterstatter für dieses mögliche künftige EU-Land und muss die politische Entwicklung dort verfolgen.

Für Kroatien ist aber an diesem Tag relativ wenig Zeit: Eine Menge Einladungen ist angekommen, Termine müssen abgeglichen, Sitzungsthemen vorbereitet und parallel Anfragen aus dem Wahlkreisbüro bearbeitet werden - Schreibtischarbeit pur. Da ist der Montagabend eine willkommene Abwechslung: Da trifft sich die Landesgruppe der CDU, 34 Kolleginnen und Kollegen aus Baden-Württemberg. In der schmucken Landesvertretung an der Tiergartenstraße freuen sich die Politiker auf Spätzle, Maultaschen, badische und württembergische Weine und das gute Bier der bekannten Staatsbrauerei. "Da kommt Heimat auf den Tisch", meint Olav Gutting, wobei dieser Slogan nicht nur für die kulinarischen Genüsse gilt: Es findet ein reger Gedankenaustausch statt, es werden die Themen der Sitzungswoche erörtert und mögliche gemeinsame Strategien entwickelt. Oft sind auch Gäste aus dem Land zu Gast: Minister, Vertreter der Industrie- und Handelskammern oder auch Kommunalpolitiker wie unlängst Schwetzingens OB Bernd Kappenstein. "Da fühle ich mich richtig wohl", strahlt Gutting angesichts der guten Stimmung in der Landesgruppe, die anschließend in zwangloser Runde noch lange beisammensitzt.

Stundenlange Sitzungen, stapelweise Post und Termine ohne Ende

Was macht eigentlich ein Bundestagsabgeordneter den ganzen lieben langen Tag? Die Vorstellungen darüber mögen weit auseinander gehen. Schließlich ist der Plenarsaal doch meistens dreiviertel leer, sagen die einen. Andere wiederum vermuten, dass sich die Volksrepräsentanten in Berlin manchmal einen schönen Lenz machen und von Empfang zu Empfang und von Party zu Party springen. Um der Sache mal auf den Grund zu gehen und mit manchem Vorurteil aufzuräumen, haben wir den hiesigen Bundestagsabgeordneten Olav Gutting in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause praktisch auf Schritt und Tritt begleitet - von schönem Lenz keine Spur.