Zeitarbeit wird zu negativ dargestellt

Interview von DATAKONTEXT mit Olav Gutting MdB

Foto Olav Gutting MdBWie wird die Zeitarbeitsbranche in der Öffentlichkeit wahrgenommen? Und was leistet sie tatsächlich? Über diese und andere Fragen zum Thema Zeitarbeit sprach unser Chefredakteur Markus Matt-Kellner mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Olav Gutting.

Herr Gutting, ist Zeitarbeit ein Erfolgsmodell, das Arbeitsplätze schafft - oder ein Killer fester Anstellungsverhältnisse?
In der Zeitarbeit sind bis dato ca. 900.000 überbetriebliche Arbeitsplätze entstanden, die in dieser Form ansonsten sicherlich nicht in Deutschland entstanden wären; viele Betriebe hätten stattdessen Arbeiten und bestimmte Tätigkeiten im Ausland erledigen lassen. Zeitarbeit hat einen Anteil von 2,4% an den sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnissen in Deutschland und dieser hat sich in den letzten fünf Jahren kaum verändert. Betrachtet man diese Quote, so kann von einem Killer wohl nicht die Rede sein, gerade auch mit Blick auf die Tatsache, dass 2/3 der Zeitarbeitnehmer zuvor beschäftigungslos waren.


Bedeutet Zeitarbeit einen potenziellen Berufseinstieg für junge Menschen?
Sicherlich ist die Zeitarbeit eine gute Möglichkeit, in den Beruf einzusteigen. Man hat hier - mit einem Vertrag ausgestattet - die Möglichkeit, verschiedene Arbeitgeber und Tätigkeiten kennen zu lernen, ohne dauernd kündigen zu müssen und auch der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, junge Menschen ohne Risiko zu testen. Allerdings sollte man vielleicht vorab vereinbaren, zu welchem Zeitpunkt eine „Übernahme" bei entsprechender Eignung stattfinden soll, damit die jungen Menschen auch so etwas wie Planungssicherheit haben.

Wie viele der Zeitarbeitnehmer werden von den Entleiherbetrieben tatsächlich übernommen?
Laut Angaben der Branchenverbände liegt die Übernahmequote bei ca. 22% der Zeitarbeitnehmer, wobei es auch Dienstleister gibt, die über 40% Übernahmequote vorweisen können.

In welchen Branchen ist Zeitarbeit besonders gefragt, in welchen besonders wenig?
Die größte Nachfrage besteht in der Metall- und Elektroindustrie, danach kommen die Automobilindustrie und die dazugehörigen Zulieferer, gefolgt von Lager/Logistik. Je spezialisierter eine Tätigkeit ist, desto weniger Zeitarbeitnehmer sind eingesetzt.

 

Bedeutet Zeitarbeit eine Alternative für Arbeitgeber in Zeiten des demografischen Wandels?
Auch die Zeitarbeit hat mit dem demographischen Wandel zu kämpfen. In vielen Regionen sind viele Aufträge aufgrund von Vollbeschäftigung und Nachwuchsmangel nicht mehr zu besetzen. Wenn aber die Zeitarbeit bereit ist, weiterhin in Ausbildung und Qualifizierung ihrer Mitarbeiter zu investieren, der Gesetzgeber für den Arbeitgeber vernünftige Regeln aufstellt, was mit den Ausbildungskosten bei vorzeitiger Kündigung passiert und die Kunden gelegentlich auch bereit sind, auch bei nicht 100%iger Qualifikation einem Bewerber eine Chance zu geben, dann könnte hier ein Modell mit Zukunft entstehen.

Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) wurde in den letzten Jahren mehrfach geändert, Stichworte sind Gleichstellungsgrundsatz, Überlassungsdauer, Befristungsverbot, Equal Pay, Flächentarifvertrag, Mindestlohn und Umsetzung von EU-Vorgaben. Die Branche muss sich also immer wieder auf gesetzliche Änderungen einstellen. Sind das nicht ziemlich viele Änderungen? Werden EU-Vorgaben in Zukunft eine stärkere Rolle spielen?
Das sind ziemlich viele Stichworte. Ich beginne mit der Überlassungsdauer: Vor der Änderung des AÜG im Jahre 2003 betrug die Höchstüberlassungszeit 24 Monate, wobei ab dem 13. Monat die gleichen Arbeitsbedingungen zur Anwendung hätten kommen müssen und Entgelte wie bei den Stammmitarbeitern zu zahlen gewesen wären. Im Ergebnis waren lediglich 5% der Zeitarbeitnehmer länger als 12 Monate im Einsatz. Mit der Reform des AÜG wurden diese Höchstüberlassung und weitere Beschäftigungshindernisse wie das Befristungsverbot abgeschafft. Danach konnte man zunächst einen Boom der Zeitarbeit erleben, auch weil erstmalig seit Einführung der Zeitarbeit in den 60er Jahren tarifliche Regelungen existierten. Bereits damals wurde Equal Pay im AÜG verankert. Der Gleichstellungsgrundsatz gilt nicht nur für die Zeitarbeit, sondern für alle Arbeitgeber in Deutschland, wobei wir hierzulande sicherlich bei der Umsetzung der EU-Richtlinie etwas über das Ziel hinausgeschossen sind. Zeitarbeit wird oftmals in den Medien ausschließlich negativ dargestellt wird, was unter anderem das Thema „gesetzlicher Mindestlohn" in den Fokus gerückt hat, wobei deutlich zu sagen ist, dass Lohnvereinbarungen eine Sache der Tarifpartner sind und auch bleiben sollen - die bestehenden Tarife in der Zeitarbeit sind von allen DGB-Gewerkschaften unterschrieben worden. Um die Diskussion wieder zu versachlichen, könnte man über eine Befristung der Überlassungsdauer von ca. 24-30 Monaten nachdenken, um Missbrauch vorzubeugen. Es sollte allerdings in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass der Einstiegslohn in der Zeitarbeit deutlich über jenem beispielsweise des Friseurhandwerks oder der Gastronomie liegt. Die Umsetzung des diskutierten Modells von Branchenzuschlägen nach bestimmten Staffeln hingegen wäre mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden, denn Zeitarbeitsunternehmen müssten für alle Kundenbetriebe permanent aufzeichnen, wer in welcher Position zu welchem Zeitpunkt wie viel Geld verdient. Und was passiert, wenn das Kundenunternehmen die Auskunft verweigert? Auch dies ist nicht geklärt. Weiterhin führt dieses Modell zu schwankenden Einkünften bei den Zeitarbeitnehmern. Ob das so gewollt ist, muss sich noch herausstellen.

Wie beurteilen Sie allgemein die Zukunft der Branche, auch im Hinblick auf wirtschaftliche Krisen?

Zeitarbeit hat in Deutschland sicherlich eine gute Zukunft, wenn wir es schaffen, die Branche aus der Schmuddelecke herauszuholen und sie als gleichwertigen Arbeitgeber mit vielen Chancen zu sehen, so wie es in den meisten anderen europäischen Ländern auch der Fall ist. Es gibt sicherlich kaum eine Branche, die so stark reglementiert ist. Die überstarke Reglementierung der Zeitarbeit kann politisch im Grunde auch nicht gewollt sein, denn in der Folge wird auf Scheinwerkverträge und ähnliche Konstruktionen zum Nachteil der Arbeitnehmer ausgewichen. Wirtschaftlich schwierige Situationen hat es immer wieder gegeben, und die Zeitarbeit wird sicherlich immer die erste Branche sein, welche dies zu spüren bekommt. Allerdings sollte man auch nicht vergessen, dass durch den Branchen-Mix auch immer wieder die Möglichkeit besteht, in andere Unternehmen zu wechseln, wenn ein Auftraggeber weniger Arbeit hat. Dazu gehören aber auch Flexibilität und Bereitschaft für Neues.

Text / Copyright: DATAKONTEXT

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