Diskussion in der Erich-Kästner-Schule in Kronau

Diskussion in der Erich-Kästner-Realschule in Kronau

Kronau. Am heutigen Freitag, 24. September 2010, war der Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Bruchsal-Schwetzingen, Olav Gutting, zu Gast in der Erich-Kästner-Schule (Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule) in Kronau. Im Rahmen eines Projekts beschäftigen sich aktuell einige Schülerinnen und Schüler der Klasse 10e mit der Thematik "Bundeswehr / Abschaffung der Wehrpflicht". Olav Gutting MdB stand gerne als Gesprächspartner  zur Verfügung und freute sich über die offene, erfrischende Diskussion.

Für interessierte Leserinnen und Leser sind folgend Standpunkte zur Zukunft der Bundeswehr und der Wehrpflicht aufgeführt, wie sie innerhalb der CDU Deutschlands diskutiert werden:

Seit der Gründung der Bundeswehr ist die Wehrpflicht eng mit unseren Streitkräften verbunden. Sie hat sich bewährt. Für die Landes- und Bündnisverteidigung sicherte sie Einsatzbereitschaft und Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr. Doch die sicherheitspolitische Lage Deutschlands hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges dramatisch verändert. Vor zwanzig Jahren war die Bundesrepublik Deutschland Frontstaat an der Grenze zum Warschauer Pakt. Heute ist unser Land ausschließlich von Freunden umgeben. Auch Russland ist inzwischen ein Partner Deutschlands und der NATO. Damit änderten sich auch die sicherheitspolitischen Anforderungen. Die Landesverteidigung hat an Bedeutung verloren. Aus der Bundeswehr wurde eine Armee im Einsatz. Angesichts dieser Entwicklungen ist es richtig zu prüfen, wie die Bundeswehr der Zukunft aussehen soll. Dabei gibt es zahlreiche gute Argumente für das Festhalten am derzeitigen Wehrpflichtmodell als auch für eine tiefgreifende, auch die Wehrpflicht umfassende Reform der Bundeswehr:

Einerseits trägt die Wehrpflicht zur Landes- und Bündnisverteidigung bei und ist damit ein Element unserer Sicherheitsvorsorge für alle Unwägbarkeiten. Andererseits droht heute und auf absehbare Zeit kein groß angelegter Angriff auf Deutschland, der eine schnelle Vergrößerung der Bundeswehr durch die aus den Reihen der Wehrpflichtigen stammenden Reservisten notwendig machen würde. Unabhängig davon bringt auch eine Freiwilligenarmee Reservisten hervor, die zudem besser ausgebildet sind als ehemalige Wehrdienstleistende.

Einerseits hat die Bundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte von der Solidarität der Bündnispartner profitiert. Deshalb dürfen wir nicht nur an die eigene Landesverteidigung denken, sondern müssen auch die Bündnisverteidigung im Blick haben. Andererseits aber hat die Mehrzahl unserer Bündnispartner – darunter auch die meisten der nach 1990 neu in die NATO aufgenommenen Staaten –bereits die Wehrpflicht aufgegeben und sich für eine Berufsarmee entschieden. 18 Staaten haben seit 1990 die Wehrpflicht ausgesetzt oder ganz abgeschafft.

Einerseits könnte eine drastische Reduzierung der deutschen Streitkräfte zu einem Einflussverlust Deutschlands in der NATO führen. Andererseits fordern aber die Partner in der NATO, Deutschland möge es ihnen gleichtun und seine Streitkräfte `professionalisieren´ bzw. `kleiner und feiner´ machen, um einen größeren Truppenanteil für das derzeit wahrscheinlichste Einsatzszenario, die Auslandseinsätze, zur Verfügung stellen zu können. Eine schlankere und in ihrer Schlagkraft gestärkte Bundeswehr würde daher den Einfluss Deutschlands im Bündnis stärken.

Einerseits würde eine tief greifende Reform für die Bundeswehr, die zeitgleich Einsätze zu bewältigen hätte, eine enorme Belastung darstellen. Andererseits könnte eine solche Reform für eine längere Zeitdauer Planungssicherheit bieten als lediglich für wenige Jahre – nicht nur für die Gestaltung der Streitkräfte als Ganzes, sondern damit auch für die einzelnen Soldatinnen und Soldaten sowie die Zivilbediensteten der Bundeswehr. Diese haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen Prozess konstanter `Reformen´ bzw. der Transformation durchlaufen, der in vielen Fällen mit großen persönlichen Belastungen verbunden war.

Einerseits sind die Wehrpflichtigen von jeher ein Reservoir für die Gewinnung neuer Zeit- und Berufssoldaten vom Gefreiten bis zum General. Andererseits benötigt man für die Ausbildung und Verwaltung von etwa 30 0000 Wehrpflichtigen eine Struktur, die ihrerseits rund 10 000 Zeit- und Berufssoldaten bindet.

Einerseits drohen bei einem Verzicht auf Wehrpflichtige zukünftig die Kosten für die Personalgewinnung zu steigen, da die länger Dienenden, die sich erst in ihrer Wehrdienstzeit für einen Berufsweg in der Bundeswehr entscheiden, nicht mehr ohne weiteres angesprochen werden könnten. Andererseits stünden junge Männer – ohne die Unterbrechung durch den Wehrdienst – sofort dem Arbeitsmarkt zur Verfügung bzw. könnten ihre Ausbildung fortsetzen. Aufgrund eines längeren Erwerbslebens kommt es zu volkswirtschaftlich positiven Effekten, die höhere Kosten für die Nachwuchsgewinnung bei weitem aufwiegen könnten, denn durch einen früheren Eintritt in das Berufsleben sind die jungen Männer länger Steuerzahler und tragen damit zur Finanzierung unserer Gesellschaft bei. Dienstleistende starten später in das Berufsleben als ihre nicht-dienenden Altersgenossen. Der Staat verliert bei dieser verkürzten Lebensarbeitszeit die Steuern für das letzte und damit in der Regel höchste Gehalt der Dienstleistenden. Angesichts der demografischen Entwicklung drängt auch die Wirtschaft darauf, die jungen Männer nicht durch Zwangsdienste zu binden. Zudem kann es attraktiv sein, für einen vernünftigen Sold und bei weiteren Anreizen seinem Land in der Bundeswehr zu dienen.

Einerseits bedeutet eine Aussetzung der Wehrpflicht de facto eine Abschaffung, denn eine Wiedereinführung der Wehrpflicht im Falle eines Spannungsfalls hätte potenziell eine eskalatorische Wirkung. Schon während des Kalten Krieges gab es die Befürchtung, im Falle einer Verschärfung der Spannungen würde eine Entscheidung zur Mobilisierung der Reservisten nicht getroffen, weil sie von der Gegenseite als aggressiver Akt verstanden und die Lage damit weiter verschärft werden könnte. Andererseits bliebe bei einer Aussetzung der Wehrpflicht der entsprechende Artikel des Grundgesetzes (12a) weiter in Kraft. Er würde lediglich nicht angewandt. Zudem könnte die Erfassungsstruktur auch dann aufrechterhalten werden, wenn die jungen Männer nicht zum Pflichtdienst herangezogen würden. Die erneute Anwendung der Wehrpflicht wäre ohnehin lediglich dann denkbar, wenn bereits eine außerordentlich schwere Krise entstanden wäre.

Einerseits würden bei einer Aussetzung des Wehrdienstes auch für die Ersatzdienste keine jungen Männer mehr zur Verfügung stehen. Im sozialen Bereich, in dem Zivildienstleistende zum Einsatz kommen, könnten viele Leistungen nicht mehr oder nur bei höheren Kosten erbracht werden. Andererseits gibt es bereits heute mit dem Freiwilligen Sozialen und dem Freiwilligen Ökologischen Jahr, die in Verantwortung der Bundesländer durchgeführt werden, Möglichkeiten für junge Männer und Frauen, einen Dienst für die Gemeinschaft und am Menschen zu leisten. Vor allem aber gibt es bereits ein tragfähiges Modell für einen „Freiwilligen Zivildienst“. Freiwillige Dienste könnten sowohl in der Bundeswehr – auch für Frauen – als auch im sozialen Bereich massiv gestärkt, neu entwickelt und attraktiv gestaltet werden. Mittel, die bislang für den Zivildienst aufgewendet werden, könnten entsprechend umgewidmet werden.

Einerseits hat sich die Bundeswehr bei Naturkatastrophen im Inland bewährt. Nicht zuletzt die Wehrpflichtigen waren bei der Bewältigung solcher Katastrophen eine zuverlässige Stütze. Ohne Wehrpflichtige würde die Bundeswehr kleiner und in der Fläche weniger präsent. Beides könnte sich im Falle einer Naturkatastrophe negativ auswirken. Andererseits kann die Bundeswehr nach der Ordnung unseres Grundgesetzes auch ohne Wehrpflichtige unterstützend zur Katastrophenhilfe herangezogen werden. Sie sind dafür mit ihrer Einsatzerfahrung und Fähigkeiten von ABC-Abwehr bis zu Logistik und Transport bestens geeignet. Dennoch müssen die Streitkräfte als Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik vor allem auf die Einsätze im Ausland hin ausgerichtet werden, da von dort die primäre Gefährdung unserer Sicherheit droht. Die Bewältigung von Naturkatastrophen ist vorrangig Aufgabe anderer Organisationen. Die Bundeswehr ist hier nur hilfsweise tätig.

Einerseits dient die Wehrpflicht auch der Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft. Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland wäre ohne die Einführung der Wehrpflicht nicht denkbar gewesen. Andererseits hat sich die Bundeswehr in über sechs Jahrzehnten als Armee in der Demokratie bewährt. Das Primat der Politik ist unangefochten. Die Zeit- und Berufssoldaten fühlen sich als Staatsbürger in Uniform. Sie selbst, ihre Familien, Freunde und Nachbarn garantieren die Verankerung in der Gesellschaft. Es droht kein Staat im Staate. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht die Weimarer Republik.

Einerseits sind der Wehrdienst und die daraus abgeleiteten Ersatzdienste Dienste für die Gemeinschaft. Es sind die einzigen Dienste, zu denen junge Menschen in unserer Gesellschaft verpflichtet sind. Sie führen junge Menschen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zusammen. Andererseits sind zu diesen Diensten lediglich junge Männer verpflichtet. Zudem werden aktuell lediglich knapp über die Hälfte der jungen Männer überhaupt nach ihrer Musterung als (wehr-)dienstfähig eingestuft, d. h. fast die Hälfte wird ausgemustert und muss gar keinen Dienst leisten. Lediglich ca. 16 Prozent der jungen Männer leisten derzeit den Wehrdienst. Der Zivildienst ist nicht mehr die Ausnahme. Vielmehr leisten hier mehr junge Männer ihren Dienst als bei der Bundeswehr.

Einerseits ist und bleibt die Bundeswehr das entscheidende Instrument der deutschen Sicherheitspolitik. Eine ausreichende Ausstattung – auch in personeller Hinsicht – ist unverzichtbar. Die Sicherheit Deutschlands zu gewährleisten, ist eine Kernaufgabe des Staates. Dafür können und dürfen die Bürger dieses Landes auch in die Pflicht genommen werden. Andererseits haben sich Auftrag und damit auch die Struktur der Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges grundlegend gewandelt. 1989 dienten ca. 495 000 Soldaten bei der Bundeswehr, darunter ca. 200 000 Wehrpflichtige. Zudem hatte die Nationale Volksarmee der DDR eine Personalstärke von ca. 155 000 Soldaten. Heute umfasst die Bundeswehr ca. 248 700 Soldatinnen und Soldaten. Davon sind ca. 26 400 freiwillig länger Wehrdienstleistende und ca. 32 600 Grundwehrdienstleistende. Dies zeigt, dass angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage die Wehrdienstleistenden an Bedeutung verloren haben. Die Sicherheit Deutschlands hängt heute nicht mehr vom Wehrdienst ab. Die Wehrpflicht ist aber ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit, dass sie nur sicherheitspolitisch begründet werden kann. Auch die Wehrdienstdauer spiegelt die veränderte Sicherheitslage wider.

Einerseits könnte durch die Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht, eines Soziales und sicherheitspolitischen Pflichtjahres oder einer Heimatschutzpflicht für alle jungen Männer und gegebenenfalls auch Frauen dem Problem der Wehr- und Dienstgerechtigkeit begegnet werden. Zugleich würde damit die sicherheitspolitische Vorsorge nicht nur gestärkt, sondern auch der soziale Dienst für die Gemeinschaft ausgeweitet. Andererseits stellt sich die Frage, wie ca. 400 000 junge Männer beziehungsweise 800 000 junge Männer und Frauen pro Jahr sinnvoll in einen Pflichtdienst integriert werden sollen. Es ist zweifelhaft, ob es gesamtökonomisch sinnvoll und miteinander vereinbar ist, einerseits für die notwendige Verkürzung der Ausbildungszeiten einzutreten, andererseits aber ganze Jahrgänge einer solchen Pflicht unterwerfen zu wollen. Offen ist zudem, wie die entstehenden Kosten getragen werden sollten. Jeder (und jede) Dienstleistende hat einen Anspruch auf Sold bzw. Bezahlung. Auch z. B. Ausbildung, Unterkunft und Verköstigung verursachen Kosten. Angesichts der gesellschaftlichen Realität, z. B. durchschnittlich schlechtere Aufstiegschancen für Frauen in der Wirtschaft, schlechtere Bezahlung in vergleichbaren Positionen oder Verdienstausfallzeiten aufgrund der Mutterschaft, wäre es unangemessen, müssten auch Frauen eine solche Pflicht leisten. Zudem wäre ein solcher Dienst nach geltender Rechtsauffassung rechtswidrig, wobei eine Heimatschutzpflicht eventuell nicht gegen das Grundgesetz, vermutlich aber gegen internationale, für die Bundesrepublik verbindliche Menschenrechtsverträge verstößt. Alle Dienstformen würden Art. 8 des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte und Art. 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzen. In Art. 8 Abs. 3a des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte heißt es: "Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten". Als Ausnahmen werden ausdrücklich der Wehrdienst bzw. der Wehrersatzdienst (Zivildienst) genannt (Art. 8 Abs. 3c II). Die Europäische Menschenrechtskonvention äußert sich sinngleich. Auch ist die Einführung eines solchen Dienstes – eventuell mit Ausnahme der Heimatschutzpflicht – politisch nicht umsetzbar, da eine Grundgesetzänderung die notwendige Voraussetzung wäre. Das Grundgesetz steht der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht entgegen. Art. 12 (Berufsfreiheit), Abs. 2 GG lautet: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen, allgemeinen und für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Eine Dienstpflicht für alle entspräche nicht dem Kriterium der Herkömmlichkeit. Zudem müsste eine Dienstpflicht „für alle gleich“ sein, also auch Frauen umfassen, was aus den genannten politischen Gründen falsch wäre. Eine allgemeine Dienstpflicht nur für Männer ist wiederum mit dem Gleichheitsgrundsatz von Art. 3, Abs. 2 und 3 GG nicht vereinbar. Bei allen Überlegungen über die Zukunft der Wehrpflicht und Bundeswehr muss die Aussage, die der ehemalige Bundespräsident Prof. Dr. Roman Herzog auf der 35. Kommandeurstagung in München am 15. November 1995 gemacht hat, aufmerksam im Blick behalten werden: „Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein allgemeingültiges ewiges Prinzip, sondern sie ist auch abhängig von der konkreten Sicherheitslage. Ihre Beibehaltung, Aussetzung oder Abschaffung und ebenso die Dauer des Grundwehrdienstes müssen sicherheitspolitisch begründet werden können. Gesellschaftspolitische, historische, finanzielle und streitkräfteinterne Argumente können dann ruhig noch als Zusätze verwendet werden. Aber sie werden im Gespräch mit dem Bürger nie die alleinige Basis für Konsens sein können. Wehrpflicht glaubwürdig zu erhalten, heißt also zu erklären, weshalb wir sie trotz des Wegfalls der unmittelbaren äußeren Bedrohung immer noch benötigen.“ Noch ein weiterer Aspekt ist zu beachten: Der Zivildienst ist ein Ersatzdienst für den Wehrdienst. Der Zivildienst selbst ist deshalb kein Argument für die Aufrechterhaltung des Wehrdiensts. Über die Zukunft der Bundeswehr und der Wehrpflicht muss unabhängig vom Zivildienst und auch unabhängig von gesellschafts- oder strukturpolitischen Argumenten entschieden werden. Maßgeblich muss die sicherheitspolitische Analyse sein.