Rede von Olav Gutting MdB am 21. April 2010 im Bundestag: Haltung der Bundesregierung zur Finanzierbarkeit der FDP-Steuerpläne

Die Aufgabe der Glättung des Einkommensteuertarifs, des Ausstiegs aus der kalten Progression und der Vereinfachung des Einkommensteuerrechts ist lösbar, aber sie braucht Zeit

Berlin. Folgende Rede hielt der CDU-Bundestagsabgeordnete Olav Gutting am 21. April 2010 im Deutschen Bundestag: Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn in diesem Land ein durchschnittlicher Arbeitneh­mer mit einem monatlichen Verdienst von 3 100 Euro Brutto von jedem zusätzlich verdienten Euro nur noch 42 Prozent übrig hat, dann ist das, darüber sind wir uns in der Regierungskoalition einig, ungerecht und leis­tungsfeindlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Herr Brandner, hö­ren Sie einmal zu, RWI!)

Wir sind uns in der Koalition auch einig darüber, dass wir für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die­sem Land mehr Netto vom Brutto wollen. Wir wollen den Mittelstandsbauch und die kalte Progression im Ein­kommensteuertarif abschaffen, weil die leistungsbereite Mitte dadurch übermäßig belastet wird. Wir haben in dieser Koalition ebenfalls Einigkeit darüber, dass unser gesamtes Einkommensteuerrecht durch das Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit und durch den Versuch bzw. Missbrauch, immer wieder Lenkungseffekte im Einkom­mensteuerrecht zu erfinden, über Jahrzehnte hinweg eine Komplexität entwickelt hat, die viele in diesem Land zu Recht als unerträglich empfinden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein unverständliches Steuerrecht ist eben ein ungerech­tes Steuerrecht. Das Zusammenwirken eines komplizierten Steuersys­tems mit leistungsfeindlichen Besteuerungsmerkmalen ist ein Grund dafür – ein Grund, nicht der einzige –, dass die Schwarzarbeit in Deutschland ein Umsatzvolumen von geschätzten 360 Milliarden Euro hat. Wenn es mit einem leistungsgerechteren und einfacheren Steuerrecht gelänge, nur 10 Prozent von dieser Schwarzarbeit wieder in den legalen Bereich zurückzuführen, dann wären al­leine das schon Mehreinnahmen bei den Steuern und So­zialabgaben in Höhe von 16 Milliarden Euro. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Versuchen Sie es doch einmal bei den Schwarzarbeitgebern!)

Bei den im Raum stehenden Zahlen, die wir hier dis­kutieren, lohnt es sich auch immer wieder einmal, an den 1. Januar dieses Jahres zu erinnern; denn wir haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land bereits zum 1. Januar dieses Jahres mit weit über 20 Milliarden Euro entlastet. Über 10 Milliarden Euro davon haben wir übri­gens mit Ihnen von der SPD beschlossen, und das trotz einer schwierigen Finanzlage. Ich muss auch noch einmal darauf hinweisen, dass die christlich-liberale Koalition ebenfalls mit Wirkung vom 1. Januar dieses Jahres an fast 5 Milliarden Euro zusätz­lich für die Familien bereitgestellt hat: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mit der Erhöhung des Kindergeldes und der Erhöhung des Kinderfreibetrages. Das bedeutet die im Wahlkampf versprochene Stärkung der Keimzelle unserer Gesell­schaft, das bedeutet die Stärkung der Leistungsträger un­serer Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir stärken damit die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Im Übrigen: Dazu hat Frau Kraft, die Vorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, wortwörtlich gesagt, das wäre eine unsägliche Steuer­senkungspolitik. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Da hat sie recht!) Wir sind uns in der Regierungskoalition jedenfalls da­rüber einig, dass wir in den nächsten Jahren eine große Konsolidierungsaufgabe vor uns haben. Die Schulden­bremse, im Grundgesetz vereinbart, gibt uns vor, ab 2016 quasi keine neuen Schulden mehr zu machen. Es ist im Übrigen nicht nur der Schuldenbremse geschuldet, sondern es ist auch eine Selbstverständlichkeit und eine Frage der Generationengerechtigkeit und der Nachhal­tigkeit, dass wir in den nächsten Jahren einen ausgeglichenen Haushalt schaffen. (Manfred Zöllmer [SPD]: Kommen Sie doch einmal zum Thema!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das kann aber doch keine Rechtfertigung dafür sein, dass wir in den steuer­politischen Stillstand übergehen. (Nicolette Kressl [SPD]: Aber das tun Sie doch!) Die Konsolidierung der Haushalte ist ein Projekt für mehr als eine Legislaturperiode. Niemand erwartet oder verlangt von uns, dass wir schon zu Weihnachten in die­sem Jahr einen ausgeglichenen Haushalt haben. Bewusst haben wir auch die Schuldenbremse so ver­einbart und im Grundgesetz angelegt, dass sich ihre volle Bremswirkung über ein Jahrzehnt hinweg aufbaut. (Manfred Zöllmer [SPD]: Über ein Jahr­zehnt?)

Niemand in diesem Haus behauptet, man könnte bereits in diesem Jahr die Steuern um weitere 16 Milliarden Euro senken und dies noch im selben Jahr durch höheres Wachstum ausgleichen. Wir sind uns in der Regierungskoalition einig: Die Aufgabe der Glättung des Einkommensteuertarifs, des Ausstiegs aus der kalten Progression und der Vereinfa­chung des Einkommensteuerrechts ist lösbar, aber sie braucht Zeit. Steuerentlastungen gehören in ein haus­haltspolitisches Gesamtkonzept. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Da haben Sie recht! Aber das fehlt!)

Ich darf abschließend festhalten: Wir sind uns einig, dass sich dieses Gesamtkonzept erst nach Vorlage der Zahlen der nächsten Steuerschätzung fundiert entwi­ckeln lässt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Lindner [FDP])