Rückblick: Rede von Olav Gutting MdB im Deutschen Bundestag zur Steuerfreiheit von Zuschlägen

Die Union plant aktuell keine Abschaffung der Steuerfreiheit der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge

Folgende Rede hielt der CDU-Bundestagsabgeordnete Olav Gutting am 18. Dezember 2009 im Deutschen Bundestag:

Frau Präsidentin!

Werte Kolleginnen und Kollegen!

Es ist kurz vor Weihnachten. Lieber Martin Gerster, Du hast Recht: Euer Antrag passt wirklich zu Weihnachten. Man könnte ihn mit „Eine schöne Bescherung“ überschreiben. Es ist wirklich komisch, wenn man bedenkt, dass euer Finanzminister Peer Steinbrück es war, der im Juli 2007 den Auftrag gegeben hat, die dem Volumen nach 20 größten Subventionen zu untersuchen. Es sollte eine systematische Erfolgskontrolle der Subventionen erfolgen. Das Ergebnis bezüglich der Steuerbefreiung von Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen können Sie alle nun schwarz auf weiß nachlesen.

Das von Herrn Steinbrück beauftragte Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut an der Universität zu Köln kommt zu folgendem Ergebnis: Die Transparenz der Begünstigung ist gering. Es gibt keine klare Zielsetzung. „Dies ist für eine Vergünstigung, die 2 Milliarden Euro öffentliche Mittel kostet, inakzeptabel.“ Weiter heißt es: Es handelt sich um einen Transfer, der ausschließlich Mitnahmeeffekte, aber keine lenkenden Anreizeffekte hervorruft. Es ist keine Begründung ersichtlich, wo das Allgemeininteresse von faktisch nahezu jeder beliebigen Tätigkeit nachts oder an Sonn- und Feiertagen liegt. Im Gutachten wird auch darauf hingewiesen, dass das Gerechtigkeitsprinzip verletzt ist. Verteilungspolitisch werden Besserverdienende mit der Steuerbefreiung stärker begünstigt. – Hört! Hört! Ich wiederhole: Verteilungspolitisch werden Besserverdienende mit der Steuerbefreiung stärker begünstigt.

Ich zitiere weiter aus der Studie: Hinzu kommt, dass die Arbeitgeberseite in Tarifverhandlungen bei geringer entlohnten Arbeitskräften einen größeren Teil der Subventionen abschöpfen kann als bei höher entlohnten Beschäftigten. Das grobe Ziel des Schutzes der Arbeitnehmer wird nicht erreicht. Die durch die Steuerfreiheit der Zuschläge induzierte Anreizwirkung widerspricht dem Ziel des Schutzes des Arbeitnehmers.

Das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut an der Universität zu Köln empfiehlt deshalb ohne Einschränkung die Abschaffung der Steuerbefreiung von Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen. Die Abschaffung, so das Institut, werde eine bessere Steuertransparenz, höhere Effizienz und eine gleichmäßigere Einkommensverteilung mit sich bringen. So lautet das eindeutige Ergebnis des von Ihrem Finanzminister beauftragten Instituts.

Nun muss man in der Politik Gott sei Dank nicht alles machen, was Professoren, Schriftgelehrte und Institute vorgeben.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Möchten Sie die eine Zwischenfrage der Abgeordneten Kressl zulassen?

Olav Gutting (CDU/CSU):

Bitte schön.

Nicolette Kressl (SPD):

Herr Kollege Gutting, da Sie so ausführlich aus dem Gutachten zitiert haben, drängt sich mir folgende Frage auf: Sind wir uns einig, dass die Entscheidung, wie mit Bewertungen aus Sachverständigengutachten umzugehen ist, am Ende eine politische ist? Diese Frage drängt sich mir besonders auf, weil die damalige politische Leitung des Finanzministeriums zwar, wie so oft, Gutachten in Auftrag gegeben hat, aber schon damals deutlich gemacht hat, dass sie sich politisch mit diesen Wertungen ausdrücklich nicht identifiziert.

(Ulrike Flach [FDP]: Dann hätte er sich das Geld sparen können!)

Olav Gutting (CDU/CSU):

Liebe Kollegin, ich habe gerade eben gesagt, dass es ein Glück in der Politik ist, dass wir nicht immer das machen müssen, was die Professoren vorgeben. Aber Sie müssen den Menschen schon erklären, warum Sie ein Gutachten, das der Finanzminister für teures Steuergeld in Auftrag gibt, ignorieren, egal welches Ergebnis bei diesem Gutachten herauskommt. Dann haben die Steuerbürgerinnen und Steuerbürger nämlich ein Problem mit Ihnen; denn die fragen sich zu Recht: Was treibt ihr eigentlich mit unserem Geld? – Darum geht es.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann kann man sich solche Studien in Zukunft sparen, und man braucht keine Steuergelder zu verschwenden. Es ist eine grundsätzliche Frage, ob wir mit Steuergeldern sinnvoll, dem Gemeininteresse dienend umgehen und ob wir die öffentlichen Mittel sparsam verwenden. Wenn ich diese Frage bejahe, kann ich nicht solche Studien wie Ihr Finanzminister in Auftrag geben und sie anschließend einfach in die Tonne treten.

(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Angesichts von 8,5 Milliarden Euro Steuergeschenken ist das jetzt wirklich platt!)

Im Übrigen ist es auch eine Frage des Respekts gegenüber den Wissenschaftlern, gegenüber den Menschen, die in diesem Forschungsinstitut arbeiten, wie wir mit dem Ergebnis dieser Arbeit umgehen.

(Nicolette Kressl [SPD]: Was wollen Sie uns damit sagen?)

Ich sage Ihnen: Wir wollen das Ergebnis der Studie des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln für die weitere Fortentwicklung des Steuerrechts, die wir brauchen, zumindest beachten.

(Nicolette Kressl [SPD]: Hört! Hört!)

Ich will hier klar sagen: Die Union plant aktuell keine Streichung dieser Steuerfreiheit. Dies würde im Übrigen unserem Grundsatz widersprechen, dass wir mehr Netto vom Brutto wollen. Der Wegfall von Ausnahmeregelungen ist grundsätzlich nur vertretbar, wenn er mit einer großen Steuerstrukturreform

(Joachim Poß [SPD]: Das heißt, die Steuer kommt!)

und in diesem besonderen Fall mit Tarifvereinbarungen kombiniert wird, die Schlechterstellungen wie die der gerade von Ihnen zitierten Krankenschwester verhindern. Wir wollen das Einkommensteuerrecht fortentwickeln. Wir wollen es einfacher, niedriger und gerechter machen.

(Nicolette Kressl [SPD]: Wie bei den Hotels!)

Wir wollen ein Einkommensteuerrecht – es geht nicht um die Umsatzsteuer –, das Leistung belohnt und diese nicht bestraft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber Ihr Antrag will eine das objektive Nettoprinzip verletzende Ausnahmevorschrift zementieren, und Sie wollen mit diesem Antrag in der Konsequenz eine die Arbeitnehmer begünstigende Rechtsfortbildung verhindern. Für mich ist dieser Antrag eine Bankrotterklärung an den Gestaltungswillen und den Gestaltungsanspruch in der Steuerpolitik. Was wir brauchen, ist eine Einkommensteuerreform. Der Bürger will wissen, wofür er bezahlen muss. Ihm ist wichtig, dass die Steuerlast verteilt wird, dass er sich nicht als der Dumme vorkommt, der seine Pflichten erfüllt, während ein anderer, zum Beispiel sein Nachbar, verschont bleibt.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege, Sie hätten die Chance, eine Zwischenfrage von Herrn Poß zuzulassen.

Olav Gutting (CDU/CSU):
Bitte schön.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte sehr.

(Zuruf von der FDP: Wie lange wollen wir das noch hinauszögern?)

Joachim Poß (SPD):

Ich bitte um Entschuldigung, dass sich das jetzt noch verzögert. Ich habe nur eine ganz kurze Frage. Dürfen wir Ihren Ausführungen, Herr Kollege, entnehmen, dass Ihre Meinung zu dem Thema mit der Meinung von Herrn Schäuble übereinstimmt, oder ist das nur Ihre persönliche Auffassung? Ist damit zu rechnen, dass Ihre Auffassung zur Grundlage von politischen Entscheidungen der Bundesregierung möglicherweise noch in diesem Jahr wird?

(Zuruf von der FDP: In diesem Jahr noch?)

Olav Gutting (CDU/CSU):

In diesem Jahr ganz bestimmt nicht, Herr Kollege Poß. Aber eines ist doch klar: Wir wollen eine Strukturreform bei der Einkommensteuer. Wenn ich eine Strukturreform bei der Einkommensteuer vorhabe, dann kann ich doch nicht im Vorfeld gewisse Bereiche zu Tabuzonen erklären. Wir wollen, dass die Bürger wissen, wofür sie bezahlen müssen. Wir wollen, dass das Steuerrecht gerecht ist. Wir wissen nämlich, dass ungleiche Besteuerung ungerecht ist. Das ist ja nun ein Fakt; dem können auch Sie sich nicht verschließen.

Formale Gleichheit verlangt, dass ziffernmäßig gleiche Einkommen gleich hohe Steuern auslösen, zunächst einmal unabhängig davon, auf welche Weise das Einkommen erworben wurde. Das Einkommensteuerrecht, wie wir es heute haben, differenziert ja normalerweise nicht danach, wie schwer jemand zur Erzielung seines Einkommens arbeiten muss. Nur bei den Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen soll in Form der Steuerbefreiung etwas anderes gelten.

Nun sprechen Sie immer wieder davon, dass diese Steuerbefreiung für Schichtarbeiter, Krankenschwestern oder Polizisten unbedingt zu erhalten ist. Aber was machen wir dann mit dem Gewerbetreibenden, der samstagabends oder sonntagmorgens in seinem Kiosk steht? Was machen wir mit dem selbstständigen Bauzeichner, der über die Weihnachtsfeiertage in seinem Büro sitzen muss und nicht heraus kann, weil er noch Aufträge erledigen muss? Für all diese gibt es keine Steuerbefreiung. Sie subventionieren mit ihren Steuern sogar noch die Steuerfreiheit der anderen. Das ist doch nicht gerecht.

(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aha!)

Ich sage Ihnen: Genau aus diesem Grund ist die in Ihrem Antrag enthaltene Forderung nur vordergründig geeignet, um, wie von Ihnen beabsichtigt, populistische Strömungen zu bedienen.

(Zuruf von der LINKEN: Ach, ihr wollt sie weghaben?)

Ich will es noch einmal wiederholen: Die Union plant aktuell keine Abschaffung der Steuerfreiheit der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge. Das ist nicht Bestandteil unseres Regierungsprogramms. Wir wollen die Leistungsträger in diesem Land entlasten. Das sind die Krankenschwestern, die Polizisten und die Schichtarbeiter.

(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])

Wer wirklich arbeitnehmerfreundliche Politik machen will, wer wirklich die breite Mitte der Gesellschaft, die seit Jahren die Lasten dieses Landes trägt, entlasten will,

(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ihre breite Mitte wird immer schmaler dank Ihrer Politik!)

der muss das Ziel haben, das Einkommensteuerrecht leistungsgerechter, in sich stringenter, einfacher und transparenter zu gestalten.

Einem Antrag wie dem Ihren, mit dem Sie die Fortentwicklung des Einkommensteuerrechts hin zu einem gerechten und einfacheren Steuersystem verhindern wollen, können wir nicht zustimmen.

Ich habe jetzt noch zweieinhalb Minuten; da aber bald Weihnachten ist, mache ich Ihnen ein Geschenk und schenke Ihnen die zweieinhalb Minuten und wünsche Ihnen und uns allen ein schönes, gesegnetes, friedliches Weihnachtsfest und einen guten Start ins neue Jahr, hoffentlich mit besseren Anträgen aus der Opposition.

Herzlichen Dank.