Schwetzinger CDU-Bundestagsabgeordneter Olav Gutting positioniert sich gegen Grundrente

Interview mit der Schwetzinger Zeitung / Kritik an Parteispitze / „Wir brauchen einen Neuanfang“ (Autor: Marco Pecht)

Mannheim.Der CDU-Politiker Olav Gutting kritisiert seine Partei massiv wegen des Kompromisses zur Grundrente – und erwartet ein baldiges Ende der großen Koalition.

Herr Gutting, Sie waren einer von dreien, die im CDU-Vorstand gegen den Kompromiss zur Grundrente gestimmt haben. Warum?

Olav Gutting: Wir hatten im Koalitionsvertrag bereits einen Kompromiss zur Grundrente vereinbart. Natürlich ist sie auch für uns wichtig: Wer sein Leben lang gearbeitet hat, soll im Alter nicht in Armut leben müssen. Wir hatten uns aber zu Beginn der großen Koalition zwischen Union und SPD darauf geeinigt, dass eine Bedürftigkeitsprüfung erfolgen muss. Jetzt gibt es auf einmal einen Kompromiss über den Kompromiss, der das völlig verwässert. Das möchte ich nicht mittragen.

Jetzt soll es einen Einkommensnachweis geben.

Gutting: Genau, aber wie dieser Nachweis praktisch erfolgen soll, hat mir bisher noch niemand plausibel erklären können. Das setzt einen automatisierten Datenaustausch zwischen Finanzbehörde und Rentenversicherung voraus. Dafür soll jetzt innerhalb eines Jahres ein System geschaffen werden. Das erscheint mir kaum möglich. Hinzu kommt: Vermögenswerte werden bei einem Einkommensnachweis beziehungsweise -prüfung in der Regel überhaupt nicht berücksichtigt. Auch Kapitalerträge sind durch die Abgeltungssteuer anonymisiert und werden beim Finanzamt nicht erfasst. Das alles würde also bei der Berechnung der Grundrente keine Rolle spielen. Gerade mit Blick auf die Steuerzahler, die die Grundrente finanzieren, finde ich so ein System ungerecht.

Sie haben dem Grundrenten-Kompromiss wegen praktischer Aspekte nicht zugestimmt?

Gutting: Ja, das ist mir auch wichtig. Ich habe nichts gegen die Grundrente an sich. Natürlich müssen Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, eine ordentliche Rente bekommen. Das haben wir ja darum im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Es geht nicht darum, dass ich irgendwem das Geld nicht gönne. Politik darf aber auch nicht auf Kosten anderer unnötige Geschenke machen. Das sollte durch eine Bedürftigkeitsprüfung – wie es sie ja etwa auch bei der Grundsicherung durch Hartz IV gibt – verhindert werden.

Hat sich die Union an dieser Stelle durch die innerparteilichen Nöte der SPD treiben lassen?

Gutting: Der SPD-Parteitag im Dezember prägt seit einigen Wochen massiv die Arbeit der Regierung. Und das ist nicht gut. Wir müssen Politik rein inhaltlich gestalten und nicht nur, um dem kleineren Koalitionspartner zu helfen.

Würden Sie sich manchmal eine klarere Kante der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer gegen die SPD wünschen?

Gutting: Solche Forderungen sind immer schwierig. Aber ich würde mir natürlich manchmal eine klarere Positionierung auch der CDU-Spitze wünschen. Die CDU ist nicht dafür da, Olaf Scholz als SPD-Chef bei seinem parteiinternen Wettbewerb über die Rampe zu helfen.

Wie gut arbeitet denn die große Koalition zurzeit überhaupt?

Gutting: Da muss man unterscheiden: Viele Vorhaben werden derzeit im Hau-Ruck-Verfahren durchgedrückt. Das geht zwangsläufig zulasten der Qualität. Aber wir handeln. Dass der Soli für etwa 90 Prozent der Zahlenden abgeschafft wird und wir die Ungerechtigkeiten bei der Doppelverbeitragung bei der Betriebsrente abmildern, ist eine gute Leistung des Regierungsbündnisses. Wir brauchen trotzdem einen Neuanfang, um weitere wichtige Themen nach vorn zu bringen.

Neuanfang heißt, dass Sie für ein Ende der Koalition vor dem Ablauf der Wahlperiode 2021 sind?

Gutting: Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir bei dieser Gemengelage in der großen Koalition noch zwei Jahre vernünftig arbeiten können.

Wenn es zu Neuwahlen käme: Soll Annegret Kramp-Karrebauer als Spitzenkandidatin antreten?

Gutting: Das wird von der Situation abhängig sein. Fest steht, dass es für die Kanzlerkandidatur keine Vorfestlegung gibt. Die CDU-Chefin wird das Verfahren aber natürlich federführend mitbestimmen.

Wie stehen Sie zu Friedrich Merz, der sich ja Chancen ausrechnet?

Gutting: Ich kenne und schätze Friedrich Merz. Er ist ein kluger Kopf, der Menschen begeistern kann. Friedrich Merz ist aber sicherlich nicht der CDU-Politiker, der die Zukunft prägen wird.

Das Interview wurde telefonisch geführt und von Olav Gutting autorisiert. © Mannheimer Morgen, Mittwoch, 13.11.2019